Donnerstag, 28. Dezember 2017

Asyl oder kein Asyl? Der Asylentscheider...

von Thomas Heck...

Der Job des Asylentscheiders ist sicher kein leichter Job. Man muss entscheiden, ob der Asylbewerber die Wahrheit sagt oder lügt, ob seine Geschichte stimmt oder nicht. Wenn schon die Feststellung der Identität problematisch ist, ist der Rest nicht einfacher. Der RBB hat sich dieses Themas angenommen und eine Asylentscheiderin begleitet. Was mit sofort auffiel war eine Frage während der Anhörung, ob der Asylbewerber ein Problem mit ihr als Frau habe, was ich schon wieder als den ersten Fehler betrachte, handelt es sich doch beim Asylverfahren nicht um ein Wunschkonzert und der Fakt, dass Frauen in unserer Gesellschaft selbstverständlich in allen Funktionen des Staates sitzen, gleichberechtigt für Männer, haben die hinzunehmen und zu akzeptieren, die hier Asyl begehren. Wer gegenüber dem Asylbewerber diese Frage stellt, konterkariert die Anforderungen, die an diese Menschen zu stellen sind, damit eine Integration problemlos erfolgen kann und disqualifiziert sich damit eigentlich selber. Doch lesen Sie selbst.


Liane Boenig hat keinen Job wie jede andere: Sie entscheidet über das Schicksal von Menschen, die in Deutschland Asyl beantragt haben. Wie macht sie das? Und was macht diese Verantwortung mit ihr? Ein Tag im Leben einer Berliner Asyl-Entscheiderin. Von Henrike Möller

Mit ihrer Jeans und ihrem dunkelblauen Blümchen-Shirt sieht Liane Boenig eher so aus, als würde sie gleich entspannt mit Freunden im Park abhängen, als die Anhörung eines Asylbewerbers zur leiten. Keine Bluse, kein Hosenanzug, kein Blazer. "Man darf nicht vergessen, ganz viele Antragsteller kommen aus Ländern, die vor Behörden Angst haben, weil sie wahnsinnig schlechte Erfahrungen damit gemacht haben. Deshalb finde ich es umso wichtiger, dass ich nicht dieses Obrigkeitsgefühl vermittle", sagt die 27-Jährige, die als Entscheiderin beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Berlin-Wilmersdorf arbeitet. Auch ihr Büro hat Liane Boenig so gestaltet, dass sich die Asylsuchenden möglichst wohl fühlen. An den Wänden hängen Landkarten, auf dem Fenstersims und den gelblichweißen Aktenschränken versuchen ein paar Zimmerpflanzen dem sterilen Raum zumindest einen Hauch von Heimeligkeit zu verleihen.

Der Antragsteller: Nadim, 27, aus Syrien

Es ist Freitag zehn Uhr. Zeit für den ersten Antragsteller. Ein paar Türen weiter befindet sich der Wartesaal. An diesem Morgen ist er relativ leer. Etwa 20 Leute sitzen dort. An den Wänden zeigen Fernsehmonitore Nachrichten in verschiedenen Sprachen. Für Kinder gibt es Spielzeug, für Eltern einen Getränkeautomaten. Die Dolmetscherin ruft den Namen von Liane Boenigs Antragsteller auf. Ein junger Typ mit schwarzen, sorgsam gegelten Haaren steht von seinem Platz auf. Akademisch sieht er aus, mit seiner beigen Hose, den hellbraunen Lederschuhen und der dicken, schwarz-umrandeten Brille. "Dann bräuchte ich ganz kurz Ihre Aufenthaltsgestattung und Ihren Ausweis", fordert Liane Boenig. Sie vergleicht den Namen mit dem auf dem Ladungsschreiben: Nadim, 27, aus Syrien. Alles klar, es ist der Richtige. "Dann würde ich Sie jetzt erstmal mitnehmen in mein Büro und dann erkläre ich Ihnen den Rest."

Fragen zur Fluchtroute

Nadim (Name von der Redaktion geändert) sieht blass aus. Er lässt er sich auf einen der klapprigen Holzstühle vor dem Schreibtisch fallen und greift nach einem Glas Wasser. "Dann heiße ich Sie erstmal herzlich willkommen zu Ihrer Anhörung. Ich bin Frau Boenig und bin die Entscheiderin in Ihrem Verfahren." Liane Boenig erklärt mit knappen Worten den Ablauf: kurze rechtliche Belehrung, dann allgemeine Fragen über sein Leben in Syrien, im Anschluss die Fluchtgründe. "Bevor ich loslege, würde ich gerne noch wissen, ob es für Sie in Ordnung ist, dass ich als weibliche Person hier sitze und auch Ihre Dolmetscherin weiblich ist." Nadim nickt. Bisher habe sie noch nicht erlebt, dass Antragsteller mit ihr als Frau ein Problem hatten, sagt Liane Boenig. Kolleginnen von ihr aber schon. In ganz bestimmten Fällen würden die Anhörungen dann von Männern übernommen.

Über welche Route Nadim nach Deutschland gekommen ist, will Liane Boenig als erstes wissen. Er erzählt, dass er zunächst eine Weile in Russland gelebt habe. Eine russische Verwandte habe ihm ein Studentenvisum besorgt. Von dort aus ging es weiter nach Norwegen. Wer ihn zum Flughafen gebracht habe, fragt Liane und welche militärischen Kontrollpunkte er auf dem Weg dorthin passiert habe. Nadim schaut irritiert. Liane Boenig weiß, dass ihre Fragen misstrauisch wirken. "Natürlich ist das nicht meine Intention, aber wir müssen eben die Sachverhalte komplett ausermitteln."

Details über sein Leben in Syrien

Ganze anderthalb Stunden dauert es, dann kommt sie zum Kernstück der Anhörung: "Was war denn für Sie persönlich der Auslöser, genau zu diesem Zeitpunkt das Land zu verlassen?" Die syrische Regierung habe ihn verhaften wollen, sagt Nadim. Dann berichtet er von seiner Mitgliedschaft bei einer oppositionellen Untergrundgruppe. "Was war denn Ihre bedeutendste Aufgabe dort?" Er habe über Facebook Kontakt zu Oppositionellen im Exil aufgenommen, sagt er. Liane Boenig lässt sich die Namen diktieren, genauso wie die der anderen Mitglieder der Widerstandsgruppe. Wie er sich erkläre, warum er als einziger in der Widerstandsgruppe verschont geblieben sei, fragt sie. Die syrische Regierung wolle nach außen hin den Schein eines demokratischen Landes wahren, vermutet Nadim, und dazu müssten zumindest ein paar Oppositionelle am Leben bleiben.

Manche Fragen sind ihm unangenehm

Ob Liane Boenig Nadims Erklärung überzeugt, lässt sie sich nicht anmerken. Ihre Miene bleibt professionell distanziert. Doch sie horcht auf, als Nadim fast beiläufig seine Homosexualität erwähnt. "Haben Sie denn Ihre sexuelle Gesinnung schon in Syrien festgestellt oder erst in Deutschland? Leben Sie ihre Sexualität in irgendeiner Form in Deutschland aus? Hatten Sie in Deutschland deswegen schon irgendwelche Probleme?" Nadim fühlt sich bei diesen Fragen sichtlich unwohl. Sie müsse diese Fragen stellen, erklärt Liane Boenig. Homosexualität führt zu einem höheren Schutzstatus.

Nadim antwortet so knapp wie möglich: Schon in Syrien habe er gemerkt, dass er homosexuell sei. Es habe aber keiner davon gewusst, auch in Deutschland nicht, und das solle auch so bleiben. Liane hat genug gehört. Nach fast drei Stunden beendet sie die Anhörung. Nadim wirkt erleichtert. Sein Gesicht hat Farbe bekommen. Höflich verabschiedet er sich. Er hätte ein gutes Gefühl, sagt er.

Woher weiß sie, ob das Gegenüber die Wahrheit sagt?

Aber ist Nadim wirklich homosexuell, hat er wirklich im Widerstand gegen die Regierung gearbeitet? Beides sind ernstzunehmende Fluchtgründe. Aber entsprechen sie der Wahrheit? Das ist selbst für Liane nicht so einfach herauszufinden: "Da kommt es insbesondere darauf an, wie glaubwürdig die gesamte Person ist. Da hat man bestimmte Kriterien, angefangen beim Bauchgefühl bis hin zum Auftreten." Aber lässt sich Homosexualität nicht auch vortäuschen? "Kommt vor", sagt Liane Boenig, "es gibt da aber auch entsprechende Fortbildungen für Entscheider."

Anders sieht es mit Nadims Tätigkeit in der Widerstandsgruppe aus. Hier konnte die 27-Jährige gezielte Nachfragen stellen. Nadims Antworten überprüfte sie im Internet. Aber reicht das? "Ich kann mich logischerweise nicht nur auf die Sachen stützen, die ich bei Google finde. Aber bei ihm hat man gemerkt, dass er bei diesem Thema sehr erzählfreudig war. Es war Begeisterung in seinem Gesicht zu sehen, und er konnte aus seinem aktiven Tagesablauf erzählen. Alles in allem hat das für mich dann ein sehr schlüssiges Bild ergeben." 

Dass Liane Boenig ihm glaubt, wird Nadim erst in vier Wochen erfahren. Er wird eine Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre bekommen.

Schutzschild, um entscheiden zu können

Liane Boenig steht von ihrem Schreibtisch auf. Der nächste Antragsteller wartet. Bis zu drei Anhörungen hält sie pro Tag ab. Nicht alle laufen so reibungslos ab wie bei Nadim, gibt sie zu. Es gebe zwei Extreme. "Die, die sich in seitenlangen Briefen dafür bedanken, dass Deutschland ihnen die Möglichkeit gewährt, in Ruhe und Frieden zu leben. Oder aber genau das Gegenteil: Diejenigen, die aggressiv auftreten, drohen oder tatsächlich sagen: 'Wenn Sie mir jetzt keine Anerkennung schreiben, dann stürz ich mich von der nächsten Brücke‘."

Liane Boenig muss solche Situationen ganz ohne psychologisches Studium meistern. Sie hat ein Diplom in Verwaltungswissenschaften. Vor einem Jahr hat sie sich zur Entscheiderin weiterbilden lassen. Sechs Wochen dauerte der Kurs. Seitdem habe sie sich ein Schutzschild antrainiert, sagt sie: "Weil es mir nichts hilft, wenn der Antragsteller weint, der Dolmetscher weint, und ich weine auch noch. Man muss da auch einfach eine gewisse Distanz schaffen, und das gelingt mir tatsächlich sehr gut." Davon sei sie selbst überrascht. "Ich dachte, das fällt mir schwerer."

Liane ist stolz auf ihren Job. Sie sieht sich als Verfechterin der Demokratie. Ihre Arbeit lässt sie aber noch etwas anderes fühlen: Demut. "Man merkt plötzlich: Ich lebe hier in einer kleinen glücklichen Blase. Wir können in diesem Land frei leben mit all unseren Meinungen, mit all unserem Wollen, Wissen, Können und nicht-Können. Mir kommt ganz oft der Gedanke: 'Du hast verdammt viel Glück, dass deine Eltern Dich hier geboren haben‘."

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